Samstag, 24. Januar 2009
 
Paparazzi auf den Bäumen PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Donnerstag, 1. Mai 2008

Die Bevölkerung von Amstetten, derzeit Österreichs berühmteste Gemeinde, leidet zunehmend unter dem Druck der Medien. Nachdem der pensionierte Elektroingenieur Josef Fritzl gestanden hat, seine Tochter 24 Jahre eingekerkert und mit ihr sieben Kinder gezeugt zu haben, gilt der Fall als weitgehend aufgeklärt. Jetzt machen Kamerateams und Reporter Jagd auf die aus dem Verlies im Garten befreiten Opfer.


Lokalreporter Hannes Fehringer erzählt von Paparazzi, die das Psychiatrische Krankenhaus Mauer-Amstetten belagern: „Das G’sindel hängt in den Bäumen“. In einem Jugendstilpavillon der vor hundert Jahren unter Kaiser Franz Joseph gegründeten Landes-Heil- und Pflegeanstalt werden Elisabeth Fritzl, 42, fünf ihrer Kinder und ihre Mutter Rosemarie, 68, vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Anstaltsleiter Primarius Berthold Kepplinger, der einen umfangreichen Sicherheitapparat für das Gelände anfordern musste, richtete einen dringenden Appell an die Medien, „dass gerade diese Familie nach diesem Martyrium bzw. diesem Schock, diesem Trauma ein Recht hat auf ihre Privatsphäre". Ein Klinikangestellter klagte, er sei von einem belgischen Fernsehmitarbeiter ins Schienbein getreten worden. Eine Psychiaterin aus der Klinik berichtete von Journalisten, die versucht hätten, sich als Ärzte einzuschleichen, um an Fotos der Familie Fritzl zu kommen. Kein Wunder: Angeblich wird für ein exklusives Foto eine Million Euro geboten.

Auch die Amstettner Bevölkerung, anfangs durchaus auskunftsfreudig, zeigt sich zunehmend belästigt durch die Presseleute. Reportern des Boulevardblattes Österreich ist es gelungen, eine Schwägerin von Josef Fritzl aufzutreiben, die den tyrannischen Mann ihrer Schwester Rosemarie nie mochte. Berichtet wird auch von einer Frau, die in Fritzl den Mann erkannte, der sie vor über 40 Jahren vergewaltigte. Bei einer legalen Tochter des Beschuldigten, die unter dem Namen ihres Mannes in einer Nachbargemeinde wohnt, fanden Journalisten einen Hinweis auf der Hecke: „Reporter unerwünscht“.

„Österreich“ konnte in seiner Feiertagsausgabe immerhin acht Seiten mit Fotos, Fakten und Spekulationen zum Inzestdrama füllen. Die auflagenstarke Kronen Zeitung vermochte da mit nur vier Seiten nicht mitzuhalten. Vor allem Fotos, die den braungebrannten Fritzl bei Thailand-Urlauben in der Badehose zeigen, machen die Runde. Aber auch Kinderfotos der 24 Jahre eingekerkerten Elisabeth sind in allen Sensationsblättern zu finden. Das Wochenmagazin NEWS hatte keine Skrupel, ungepixelte Fotos der Kinder zu bringen, die bisher von ihrer wahren Herkunft nichts ahnten und in Amstetten in die Schule gingen. „So was ist sicher hilfreich für die weitere Karriere“, knurrt Fehringer sarkastisch. Nicht nur die österreichische Boulevardpresse macht Jagd auf Bilder. Auch der Stern bietet online eine Fotostrecke an.

Es regiert der Scheckbuchjournalismus. In Amstetten werden inzwischen für bloße Tips bereits 150 Euro geboten. „Die Bevölkerung fühlt sich erniedrigt und wünscht sich, dass die Presse-Wagenburg bald abzieht“, sagt Hannes Fehringer: „Fotografen werden bereits als Schmeißfliegen gesehen“.


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